Pengjing im Supermakrt
(Penjing sind das chin. Äquivalent zum japanischen Bonsai)
Wenn man solch einen fremden Baum wie Taiji einpflanzt, so ist es wichtig sein Wesen zu kennen und um so mehr, wenn man von seinen Früchten kosten will. Dem Normalverbaucher des Westens ist dies zunächst meist schnuppe. Er "kennt" Taiji oder Kung Fu vom Hörensagen, sah hier und da Angebote von Bildungswerken, Krankenkassen und Schulen. Er entschließt sich zu einer Teilnahme, weil er etwas für sich tun will, bezahlt seine Aufnahmegebühr und erwartet nun das abwechslungsreiche und so wunderbar wirksame Training. Soweit die verbreitete Konsumentenhaltung, mit der er im Westen herangewachsen ist. "Ich bezahle und dafür will ich etwas geboten kriegen!" Hier besteht eine imaginäre Kluft von verschiedenen Traditionen, welche sich wie ein Abgrund auftut, jedoch nur am Peripherie ihrer Symptome wahrgenommen werden kann. Diese Kluft wird deutlich, wenn man die östliche traditionelle Lehrweise betrachtet: Vor rund 20 Jahren war es noch ausgeschlossen, daß ein Chinese einem Westler überhaupt etwas von seinem Wissen preisgab.
Selbst ein Han, ein echter Chinese, bedurfte einiger Ausdauer, als Schüler angenommen zu werden. So mußte er seinen festen Willen und seine Ausdauer unter Beweis stellen, indem er den Meister immer wieder aufsuchte und um Unterricht bat. Eine chinesische Zeitregel dafür ist "ein Jahr", was nicht wörtlich zu nehmen ist. Es bedeutete einfach, eine längere Zeit, d.h. ein paar Monate oder auch Jahre des Sichbemühens. Wer sich solchermaßen bemühte und Beharrlichkeit bewies, konnte ein guter Schüler werden und der alten Tradition zur Ehre gereichen. Doch erwartete ihn nun nicht das wunderbar abwechslungsreiche Training. Sein Training begann mit dem Verharren in den einzelnen Grundstellungen, der Pfahl-Übung. Diese Übung ist sehr wichtig und wirksam, jedoch ebenso anstrengend und für den Anfänger recht zermürbend. Nach einigen Monaten des Pfahltrainings erst begann er mit den ersten Bewegungen der Form und lernte die nachfolgende erst dann, wenn die vorausgegangene vollkommen beherrscht wurde. Und Training bedeutete nicht, einmal in der Woche für ein Stündchen üben, sondern mehrfach wöchentlich für mehrere Stunden, sowie tägliches Solotraining.
Dies macht dem Leser ansatzweise deutlich, aus welcher Tradition diese chinesischen Künste kommen und über wecher Kluft mancher westliche Einsteiger schwebt, ohne es zu ahnen.
Da wir gerade beim Thema Klüfte sind, es gibt noch mehr davon:
Über das Schüler/Lehrerverhältnis in den chinesischen Künsten
Wenn man im Westen einen Kurs besucht oder sich zu einem Lehrgang anmeldet, so entspricht dies den Regeln eines Marktes, eines Handels: Frau Müller möchte Taijiquan betreiben und dies lernen. Sie informiert sich anhand von Prospekten und Inseraten, schaut sich die Räumlichkeiten an, den oder die Lehrer/in und fragt nach dem Preis. Gegebenenfalls meldet sie sich an und erwartet für ihr Geld ein nettes, abwechslungsreiches Unterrichtsprogramm. Sie ist der Kunde und der oder die Lehrende ist der Verkäufer. Auch hier befindet sich eine große unsichtbare Kluft und, der Autor kennt aus eigener Erfahrung beide Seiten dieser Schlucht, wie auch die ganze Spanne dazwischen. Die chinesischen Künste sind mehr als schöne Bewegung, inspirierte Gestaltung mit dem Pinsel oder Überwältigungstrategien im Zweikampf. Sie sind über etliche Jahrhunderte entwickelte Schulen innerer und äußerer Reifung, Kultivierung und Kunstfertigkeit, und hieraus ergibt sich denn auch ein spezifisches Lehrer/Schülerverhältnis.
Ein wahrer Lehrer dieser Künste investierte einen groessteil seines Lebens in das Studium seiner Kunst, trainierte/übte täglich mehrere Stunden über zahlreiche Jahre, mühte sich nah und fern um gute Lehrer und nahm zahlreiche Strapazen auf sich. Der Autor, der sich selbst eher zu den "kleineren" Lehrern zählt, studiert die fernöstlichen Künste seit nunmehr 35 Jahren, legte dabei rund 40.000 Reisekilometer zu verschiedenen Meistern zurück und investierte schätzungsweise bis heute an die 80.000 Euro in dieses Studium. Dies nur, um dem interessierten Leser eine Idee zu vermitteln, was mit dem Aspekt "Lehrer" verbunden sein kann. Mancher westliche Kursteilnehmer erwartet in Unkenntnis dieser ganzen Zusammenhänge auf einem Wochenendworkshop für 100 - 300 Euro die Essenz all dessen zu erfahren und - er könnte sie sogar erhalten!
Es gibt allein ein Problem: Auch er ist nur ein Mensch und wird die Essenz nicht in diesem vollen Maße aufnehmen können. Es ist vielmehr so, als wolle man einen See in eine Tasse schütten!
In einer traditionellen Schule Chinas ist der Schüler stolz, von einem Meister angenommen zu werden. Wie oben erwähnt mühte sich der Lehrer viele Jahre um diese Kunst, und er ist nun bereit, diese an ihn, den Schüler, weiterzugeben. Das chinesische Wort für den Lehrer ist "Shifu" und bedeutet mehr als nur Lehrer, es bedeutet so etwas wie väterlicher Lehrmeister und hier gelangen wir denn auch zum Familiensystem klassischer chinesischer Schulen. Tatsächlich ist es ein Vater/Sohn oder Tochter-Verhältnis: Der Lehrer ist ebenso Ratgeber und Stütze in alltäglichen Problemen, Erzieher und väterlicher Beschützer seines Zöglings. Der Schüler geht andererseits oft für seinen Lehrer einkaufen, kocht für ihn, ehrt ihn mit Geschenken und Aufmerksamkeiten und pflegt den Lehrer in hohem Alter.
Die Schüler untereinander leben ebenso in einer Familienstruktur und sind, wie ältere und jüngere Geschwister, füreinander verantwortlich.
Doch die Kung Fu-Familie ist, wie auch die herkömmliche, noch größer: Da gibt es noch an erster Stelle den Shigung, den Meister des Lehrers, den Großvater also, die "Shimo", die Frau des Lehrers, die Shidai, die "Kung Fu-Onkel", d.h. andere Lehrer, die seinerzeit unter "Shigung" gelernt haben etc..
Vieles ist auch in China im Wandel und es gibt Tendenzen hin zum westlichen marktorientierten Schulsystem, vor allem in Hongkong und Taiwan. Dennoch: Kaufen kann man nur, was käuflich ist - Ware. Nicht aber eine Lehre, geschweige den Geist einer alten Tradition.